Sabine Bergmann-Pohl, ehemalige Volkskammerpräsidentin der Nachwende-DDR, war zu Gast n der Reihe „Politik am Mittag“ der Stiftung Christlich-Soziale Politik (CSP) in Königswinter. CSP-Geschäftsführer Karsten Matthis berichtet über die Veranstaltung.
Nach Lothar de Maizière, letzter demokratisch gewählter DDR-Ministerpräsident, im Jahr 2010 konnte die Stiftung Christlich-Soziale Politik e. V. (CSP) am 13.11.2015 die ehemalige Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl in der Reihe „Politik am Mittag“ begrüßen. In seiner Einführung erinnerte der Stiftungsvorsitzende, Minister a. D. Werner Schreiber, daran, dass die deutsche Wiedervereinigung in die Geschichtsbücher als Jahrhundertereignis eingehen wird. Großen Anteil an der Wiedervereinigung haben die freigewählten Volkskammerabgeordneten, die in freier Selbstentscheidung den Beitritt der ehemaligen DDR nach Artikel 23 Grundgesetz beschlossen.
Für die Referentin Dr. Sabine Bergmann-Pohl ist die Wiedervereinigung die Erfüllung eines Traums. Durch die langen Jahre der SED-Diktatur waren die Hoffnungen vieler Menschen in punkto Wiedervereinigung gering. Die ehemalige Volkskammerpräsidentin nahm die Zuhörer, rd. 100 Interessierte aus der Region Bonn, Köln, Rhein-Sieg, mit auf eine Zeitreise. Sie berichtete über den Mauerbau am 13. August 1961, welchen sie als Kind erlebt hatte. Ihre Eltern hatten ihr berichtet, dass immer mehr Menschen in den Westen geflohen waren und auch sie spürte die Mangelwirtschaft in der ehemaligen DDR. So war der Bau der Mauer eine logische Konsequenz, damit die DDR nicht ausblutete. Die Menschen richteten sich in der ehemaligen DDR ein. So ist es sicherlich richtig von einer Nischengesellschaft zu sprechen. In der Öffentlichkeit agierte man vorsichtig und zurückhaltend, während man im Privatleben seine Meinung artikulierte. Ihr Beruf als Ärztin im Krankenhaus hat ihr jedoch große Freude bereitet.
Dr. Bergmann-Pohl erinnerte an daran, dass die DDR alles fest im Griff hielt. So wurden Todestrafen in der DDR bis zum Jahr 1987 vollzogen. Alle diese Todesurteile wurden unterschrieben vom Staatsratsvorsitzenden. Während die DDR-Bürger unter Mangelwirtschaft und einem Eingesperrtsein litten, konnte der Westen Deutschlands ohne den Osten leben. Immer wieder schüchterte das SED-Regime seine Bürger ein. So war ein politischer Wiederstand nur schwer möglich.
Mit der gefälschten Kommunalwahl im Frühjahr 1989 wendete sich jedoch das Blatt. Mutige Bürgerrechtler gingen auf die Straßen und verließen die Schutzzonen von Kirche und privaten Treffen. Polizei und Stasi reagierten bisweilen heftig im Wendeherbst. Demonstrationen in Dresden und Berlin wurden mit aller Härte eingedämmt.
Zunächst wollten die Menschen, so in der Analyse von Sabine Bergmann-Pohl, eine reformierte DDR, später jedoch eine gesamtdeutsche Lösung. Bergmann-Pohl schilderte verschiedene politische Äußerungen im Westen, die forderten, von einer Wiedervereinigung Abstand zu nehmen. So u. a. der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Alternativer Liste in Berlin unter dem Bürgermeister Walter Momper. Auch der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder wehrte sich die vermeintliche Lüge über eine mögliche Wiedervereinigung. Und auch der spätere Außenminister Joschka Fischer forderte ein Streichen der Präambel im Grundgesetz, die die deutsche Wiedervereinigung forderte.
Durch Ungeschicklichkeiten des DDR-Regimes, insbesondere durch die verunglückte Pressekonferenz von Schabowski fiel die Mauer und eine Eigendynamik entfaltete sich. Die SED war nicht mehr in der Lage, die Proteste niederzuhalten. Die ersten freien Wahlen in der DDR brachte die Allianz für Deutschland, ein Parteienbündnis von Ost-CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch unter Lothar de Maiziére, in die Regierung. Sie selbst verließ von heute auf morgen ihren Arbeitsplatz als Ärztin, um die Politik zu wechseln, nachdem Freunde sie zu diesem Schritt überredet hatten.
Es war eine bemerkenswerte Zeit in der freien Volkskammer. In dieser Zeit von den freien Wahlen bis zur Wiedervereinigung verabschiedete das Parlament 164 Gesetze, drei Staatsverträge und fasste verschiedene Beschlüsse. Politikunkundige und Demokratieungeübte hatten Politik für die Menschen zu gestalten und viel Verantwortung zu tragen. Die alte Volkskammer war kein Arbeitsparlament gewesen, deshalb gab es arbeitstechnisch keine guten Voraussetzungen. Viele Probleme waren zu lösen, insbesondere die zentrale Frage, wie überführt man einen sozialistischen Staat in eine demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Die DDR-Verfassung war umzuwandeln und auch außenpolitisch mussten viele Hürden genommen werden.
Frau Bergmann-Pohl schilderte u. a. ihre Reise mit der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth nach Israel, um dort für die deutsche Einheit Vertrauen zu erbitten. Am 30. August 1989 wurde um 2:47 Uhr die Erklärung zur deutschen Einheit mit großer Mehrheit verabschiedet. Als Präsidentin der Volkskammer hatte Frau Bergmann-Pohl auch dafür zu sorgen, dass eine Übergangsregelung für die ausscheidenden Abgeordneten zu treffen war. Viele Abgeordnete, die sich Hals über Kopf in die Politik gestürzt hatten, standen ohne Aussicht auf Beschäftigung da und mussten sich auf dem Arbeitsmarkt neu orientieren. Auch hier gelang gemeinsam mit dem Verantwortlichen in Bonn eine angemessene Lösung.
Dr. Sabine Bergmann-Pohl denkt gerne zurück an ein turbulentes halbes Jahr mit hoher politischer Verantwortung für die ehemalige DDR und ein Gesamtdeutschland. Sie betonte, dass von der alten Volkskammer ein bemerkenswertes Stück deutscher parlamentarischer Geschichte übrigbleiben wird. Sicherlich werden die Monate in den Jahren 1989/90 genauso eine positive Würdigung in den Geschichtsbüchern erfahren, wie die Jahre 1848, 1919 oder 1949. Die ehemalige Volkskammerpräsidentin unterstrich die Leistungen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und der Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog, die beide nach Kräften die freie Volkskammer unterstützt hatten.
Es gelang nur, die deutsche Einheit zu realisieren, durch ein Zusammenwirken vieler in Deutschland, in Europa, auch in den USA und in der sich reformierenden Sowjetunion.
Heute, so ist sich Bergmann-Pohl ganz sicher, hat sich die Situation für viele Menschen erheblich gebessert. Neue Industrien sind entstanden und eine hochmoderne Infrastruktur wurde aufgebaut. Viele Rentner stehen erheblich besser da, als wenn die DDR weiter existiert hätte. Die gesundheitliche Versorgung, die der Ärztin besonders am Herzen liegt, hat sich im Vergleich zum SED-Staat erheblich verbessert. Nach aktuellen Umfragen sind viele Ostdeutsche optimistisch und sind mit ihrer Situation zufrieden. Sorge bereitet der ehemaligen Volkskammerpräsidentin zurückgehende Wahlbeteiligungen und rechtsextremistische Gruppen. Sie sieht gerade beim letzten Thema unter jungen Menschen die Schulen in einer besonderen Verantwortung. Die allgemein bildenden Schulen müssten auch über die Zeit der DDR unterrichten, über Menschenrechtsverletzungen, Schießbefehl und Mangelwirtschaft.
In der sich anschließenden Diskussion würdigen Plenum und Referentin die Leistungen der Bürger in den neuen Ländern; ihre politische Tatkraft in den Jahren 1989/90 und die ungeheuren Aufbauleistungen.
Unter langanhaltendem Beifall dankte Werner Schreiber der Referentin für die Geschichtsstunde und die Zeitreise von 1961 bis 1990.