Welche Inhalte und welche Bedeutung hatte die „politische Leibeserziehung“ im Nationalsozialismus? Für 25 Studentinnen und Studenten der Sporthochschule Köln war das Thema besonders interessant, da rund die Hälfte von ihnen aus anderen Ländern stammte. Gemeinsam mit Karsten Matthis (AZK) und Dr. Ansgar Molzberger (SpoHo) besichtigten viele zum ersten Mal am 06. Mai 2017 die Ordensburg Vogelsang in der Eifel. Mit interessanten Erkenntnissen.
Von Timo Gadde
Die Anfang 1933 an die Macht gelangte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP hat ein Personalproblem. Zum Ausbau ihrer Herrschaft fehlen auf allen Ebenen Parteiführer. Streit entbrennt um die Schulung des Führungsnachwuchses. Verschiedene Unterorganisationen der Partei ringen miteinander, ehe der Chemiker Robert Ley – im Amt des Reichsorganisationsleiters ab 1932 – Hitlers Zustimmung für seinen Plan erlangt: In neu errichteten Schulungsburgen sollen überzeugte Parteimitglieder noch stärker für die Ziele der nationalsozialistischen Bewegung begeistert und auf zukünftige Führungsaufgaben vorbereitet werden. Ley plant, den politischen Führungsnachwuchs in den drei Ordensburgen Krössinsee, Vogelsang und Sonthofen zu schulen.
„In der Schule sprachen wir zwar über den Nationalsozialismus in Deutschland. An einem Schauplatz des Geschehens war ich allerdings noch nicht“, erzählt Christine aus den USA von ihren Erwartungen. Ähnlich wie sie hatten viele Teilnehmer bisher selten mit den Akteuren und Entwicklungen im Nationalsozialismus zu tun gehabt. Spannend ist für die Sportstudenten vor allem die Frage, wie der Sport vereinheitlicht werden kann, damit die NSDAP sie für politischen Zwecke missbrauchen kann. In seiner Einführung unterstrich Dr. Ansgar Molzberger, vom Institut für Sportgeschichte an der Sporthochschule, die hohe Bedeutung des Sports im Nationalsozialismus: Vier Sportdisziplinen wurden auf dem Zeugnis gesondert benotet. Ab 1937 wurde Sport sogar fünf Stunden pro Woche eingeplant. Die Ordensburgen versprachen den jungen Menschen zwischen 25 und 32 Jahren nicht nur körperliche Ertüchtigung, sondern auch Karrierechancen, Versorgung, Exklusivität und Abenteuer. Rund 400 Jugendliche aus Deutschland wurden nach strengen ideologischen Kriterien ausgewählt, am „Eliteprogramm“ teilzunehmen. Später waren es rund 1.000, die die Ordensburgen in Krössinsee, Vogelsang und Sonthofen durchliefen.
In der Ordensburg Vogelsang konnten die Studenten nun vor Ort die vielfach versteckte, aber intendierte Symbolik erkennen: „Alles hat eine Bedeutung, um die Menschen in ihrer Empathie zu brechen“, sagt Christina. Bereits der Begriff Ordensburg knüpft an verbreitete Vorstellungen von Burgen und mittelalterlichen Ritterorden an, insbesondere des Deutschen Ordens. Die Nationalsozialisten sahen darin eine positive Konnotation für ihre Missions- und Kulturtätigkeit für die geplante Eroberung von Siedlungsraum in Osteuropa. Heldensaga, Bilder und Mosaiken des „arischen Menschen“, sowie die Hang- und Ortslage der Ordensburg sollten den sogenannten „Junkern“, die dazugehören, das Gefühl geben, ausgewählt zu sein und an der Macht teilzuhaben. Die Führer von morgen musste ihre Eignung nach Leys Überzeugung in der mehrjährigen „harten Schule“ auf den Ordensburgen unter Beweis stellen. Auch die Parteiprominenz zeigte sich gern auf der Bühne der Ordensburgen. Bei Tagungen der NSDAP erteilte sie Weisungen für die Umsetzung ihrer jeweils aktuellen politischen Ziele.
Der 1. Spatenstich der Ordensburg Vogelsang erfolgt am 15. März 1934. Der Architekt Clemens Klotz plante „ein Moment der nationalsozialistischen Herrschaft. 1.500 Arbeiter errichten auf dem ländlichen Terrain in der Eifel in schwerer Handarbeit unter anderem Behausungen, Vorlesungssäle, Verwaltungsgebäude, Sportanlagen und sogar einen kirchenähnlichen Raum, in dem sich Paare nach nationalidealistischer Ideologie vermählen konnten. „Es ist beeindruckend und zugleich erschreckend zu sehen, wie effektiv in Vogelsang junge Menschen beeinflusst wurden“, erzählt Stefan und ergänzt: „Auch heute sind wir nicht von Nationalismus und Beeinflussung gefeit.“ Edgar aus Brasilien sieht im Besuch der Ordensburg Vogelsang eine neue Perspektive für junge Menschen: „Man lernt in unserer Generation zwar oft etwas über den Zweiten Weltkrieg, aber die vielen Akteure und Geschichten dahinter abseits des Kriegsschauplatzes bleiben oft verborgen. Dabei sind sie wichtig für das Verständnis.“ Nach der gemeinsamen Führung entschieden sich viele Studenten dafür, zusätzlich die Ausstellung der NS-Dokumentation zu besichtigen. Dort erhielten sie zudem Eindrücke über persönliche Erlebnisse der Zeitzeugen durch originale Briefe, Schriften und Tonaufzeichnungen.
„Es gibt sehr viel mehr zu erkennen neben des Krieges“, resümiert Nina und Pascal aus Gambia merkt an, wie effektiv die Ideologie des Nationalsozialismus gewirkt haben muss, um zahlreiche Gebäude und Symbolik in so kurzer Zeit zu erbauen. Doch Vogelsang und die zwei weiteren Ordensburgen erzählen auch eine Geschichte des Scheiterns: Die Anlagen werden nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges baulich nie fertig gestellt. Planung und Bauablauf sind von kurzatmigem Aktionismus geprägt, ebenso wie die Lehrpläne und Unterrichtsmethoden. Auch das System der politischen Nachwuchsschulung funktioniert nicht. Viele Junker werden in den Krieg geschickt und sterben bereits in den Anfangsjahren, andere werden als Akteure in die Konzentrationslager geschickt, wo sie ohne Reue und Mitgefühl das Massentöten koordinieren. Eine Einsicht für ihre Verbrechen zeigen viele Zeitzeugen auch heute nicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte die Ordensburg in die Obhut von amerikanischen, britischen und belgischen Truppen. Seit 2006 ist die Ordensburg Vogelsang als Museum für Besucher geöffnet.