Helene Wessel (1898-1969): Katholikin, Sozialpolitikerin und Pazifistin
Am 6. Juli 1898 wurde Helene Wessel in Dortmund geboren. Sie wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater arbeitete als Eisenbahnführer. Wessel nahm eine Ausbildung als Stenotypistin auf. Im Jahre 1915 trat sie eine Stelle als Sekretärin im Büro der Zentrumspartei an. Da sie sich stark mit dem Katholizismus identifizierte, war dieser Schritt für sie naheliegend.
Nach ihrem Parteieintritt im Jahr 1917 erreichte Helene Wessel in kurzer Zeit eine führende Rolle im Jugendverband des Zentrums, dem Windthorstbund. Ihre politische Arbeit fand Anerkennung in der Partei und sie wurde 1928 eine der jüngsten Abgeordneten im preußischen Landtag. Da sie neben ihrer Tätigkeit im Zentrum eine Ausbildung zur Fürsorgerin absolviert hatte, wurde sie zur sozialpolitischen Sprecherin gewählt.
Wessel gehört zu den wenigen Politikerinnen, die sich in der Weimarer Republik einen Namen gemacht haben. Sie zählte sich zum linken Flügel der Zentrumspartei.
Den Aufstieg des Nationalsozialismus beobachtete sie mit großer Sorge, denn sie fürchtete um die Stellung der Frau in der Gesellschaft und das Frauenwahlrecht. So wandte sie sich von Anfang an gegen die totalitäre Ideologie der NSDAP. Die Machtergreifung beendete zunächst ihre politische Karriere. Mit Mühe fand sie nach 1933 eine Stelle als Sekretärin in einem Dortmunder Krankenhaus. In der Zeit der NS-Herrschaft hielt sie Kontakt mit ehemaligen Zentrumsmitgliedern und forschte zu sozialpolitischen Fragen.
Nach dem Kriegsende und dem demokratischen Neubeginn gehörte Helene Wessel zu den Wiederbegründerinnen des Zentrums. In diesem Zusammenhang war sie auch Mitglied des Parlamentarischen Rates und an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt, stimmte aber letztlich dagegen, da es ihr teilweise nicht weitreichend genug erschien. So galt sie in der Politik auch als „unbequem“.
Wie Teile der CDU, der neuen überkonfessionellen Partei, plädierte sie für einen christlichen Sozialismus in einer nach der katholischen Soziallehre ausgerichteten Gesellschaft. Eine neue Partei wie die CDU lehnte sie ab und strebte stattdessen eine Koalition mit der SPD an. Sie unterschätze aber die Popularität der Idee einer überkonfessionellen Volkspartei, die auch von den katholischen Bischöfen unterstützt wurde. Bereits bei den ersten Wahlen lagen die CDU und die CSU in Bayern klar vor dem Zentrum. Im Jahr 1948 verstärkten sich die Bemühungen um eine Fusion in beiden Parteien. Nur wenige Mitglieder verblieben im Zentrum. Dennoch gelang unter Helene Wessel als Parteivorsitzende der Einzug in den ersten Deutschen Bundestag mit zehn Mandaten. Sie lehnte eine Koalition mit CDU, FDP und DP ab.
Vor allem wandte Helene Wessel sich gegen Erhards wirtschaftspolitischen Kurs. Von der CDU und CSU trennte sie aber zudem die Frage der Wiederbewaffnung und der Verteidigungspolitik. Statt einer Festlegung auf den Westen sprach sie sich für Verhandlungen mit der Sowjetunion aus, um die Einheit Deutschlands zu bewahren. Ihr deutschlandpolitischer Kurs rückte sie vermeintlich in die Nähe einer Neutralitätsbestrebung. Politisch kam sie Gustav Heinemann 1951 nahe, der als Protestant in der CDU aufgrund der Streitigkeiten um die Wiederbewaffnung mit Adenauer und seiner Partei gebrochen hatte. Obwohl als Vorsitzende des Zentrums bestätigt, war Wessel in ihrer Zentrumspartei isoliert. Die Parteibasis wollte einen traditionellen Kurs, welchen sie letztendlich in der CDU und bei Kanzler Adenauer fand. So trat sie 1952 im Januar als Vorsitzende der Partei und der Zentrumsfraktion zurück und gründete mit Heinemann die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP), die sich gegen eine Wiederbewaffnung mit dem erklärten Ziel der Wiedervereinigung profilieren wollte. Bei der Wahl 1953 scheiterte die GVP mit nur 1,2%, während die CDU mit Konrad Adenauer die absolute Mehrheit errang.
Nachdem sich keine Partner für die Partei fanden, die für einen Einzug bei der nächsten Bundestagswahl in den Bundestag hätten garantieren können, wurde die GVP 1957 aufgelöst.
Heinemann und Wessel entschlossen sich, der SPD beizutreten, da sie hofften, dass ihr Kurs gegen die Wiederbewaffnung von den Sozialdemokraten unterstützt würde. Wessel fiel dieser Schritt schwer, galt doch die SPD als der Kirche, insbesondere dem Katholizismus, fern. So strebte sie einen Dialog zwischen SPD und Katholiken an, insbesondere mit der Basis in Pfarrgemeinden. Sie gehörte schließlich für 12 Jahre als SPD-Mitglied dem Bundestag an. Sie betrieb eine eigenständige Politik und reiste mehrfach ohne Absprache mit dem Parteivorstand nach Moskau.
Helene Wessel ging einen anderen Weg als viele der Politiker des Zentrums wie Jakob Kaiser, Adam Stegerwald und Anton Storch. Sie versuchte als Katholikin, ihre politischen Ziele trotz heftiger Widerstände aus dem politischen Katholizismus und den bürgerlichen Parteien umzusetzen.
Literaturhinweis:
Elisabeth Friese: Helene Wessel (1898-1969). In: Torsten Oppelland (Hrsg.): Deutsche Politik 1949-1969, Bd. 1, Darmstadt 1999, S. 163-174