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Indische Literatur als gesellschaftliche Kraft

Die Macht der indischen Literatur bei der Gestaltung der Gesellschaft in Indien

Indische Literatur als gesellschaftliche Kraft
Von Christina Kamp
„Zu allen Zeiten und in allen Ländern gab es Menschen, die man gerne zum Schweigen gebracht hätte. Doch allen Versuchen zum Trotz hat die Literatur das letzte Wort“, so Nirmal Sarkar zur Eröffnung des Seminars „Die Macht der indischen Literatur bei der Gestaltung der Gesellschaft in Indien“, das vom 8. bis 10. Juli 2011 im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter bei Bonn stattfand. Der 2006 gegründete Verein Literaturforum Indien richtete das Seminar nun bereits zum 5. Mal aus – mit großem Erfolg. Rund 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen sich ein Wochenende Zeit, darüber zu diskutieren, wie Schriftsteller und ihre Werke Gesellschaften verändern können.
ONV Kurup: Das Salz Keralas
ONV Kurup ist ein Dichter des sozialen Engagements und des grenzenlosen Humanismus, der in Malayalam schreibt, der Sprache des südindischen Bundesstaates Kerala. Annakutty Findeis stellte ihn als einen der bedeutendsten revolutionären Schriftsteller vor, der als „das Salz Keralas“ gilt. Bekannt ist er für seine Gedichte wie Bhumikkoru Charamagitam (Ein Requiem für die Erde) und Suryagitam (Sonnengesang), aber auch für seine Filmlyrik, die mehr als 1.500 Lieder umfasst, und für die er mehrere Preise erhielt. In der Öko-Bewegung in Kerala spielten und spielen Dichterinnen und Dichter eine führende Rolle. ONV Kurup engagierte sich zum Beispiel im Widerstand gegen das Silent Valley Staudamm-Projekt. Er sagte: „Ein Gedicht ist wie eine Widerstand leistende Pflanze.“
Paul Zacharia
Mit Paul Zacharia war einer der bekanntesten Schriftsteller Keralas auf dem Seminar anwesend. Er schreibt in Malayalam Kurzgeschichten und kurze Romane, von denen einige auch ins Deutsche übersetzt wurden („Bhaskara Pattelar und andere Geschichten“, Horlemann Verlag). Malayalam, so Zacharia, sei eine junge Sprache. Als Sprache der Literatur habe es erst Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen. Der Schriftsteller beschrieb verschiedene Einflüsse auf die Literatur und die Möglichkeiten indischer Schriftsteller, auf die Gesellschaft und die Politik in Indien einzuwirken.
Der Kolonialismus sei in vieler Hinsicht eine negative Kraft gewesen, so Zacharia. Doch in der Literatur habe sie als Katalysator gewirkt, denn britische Missionare brachten Bildung für die Massen, auch für Frauen und niedrigere Kasten. Mit dem westlichen Gedankengut entwickelte sich ein neues Bewusstsein. Ab den 1930er Jahren drückte die Malayalam-Literatur dann die Ideen der Freiheitsbewegung aus.
Der nächste Katalysator in Kerala war der Kommunismus. Auch der kam durch das Englische und war damit ebenfalls ein von außen kommender „kolonialer Input“. Es ging darum, das feudale System zu verändern. Die Literatur setzte sich für die Unterprivilegierten ein und wurde zum Flagschiff der progressiven Bewegung. Der Kommunismus kam als progressive kulturelle Kraft nach Kerala, quasi durch die Vordertür. Die Medien gewannen an Bedeutung und die Literatur erreichte durch die Medien ein breites Publikum. Romane wurden zum Beispiel als Serien in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht.
Die Kräfte, die laut Zacharia heute den gesellschaftlichen Wandel bestimmen, sind die Parteien, die Religionen und die Medien. Doch die wollten eher den Status quo statt Veränderungen. Doch dass die Stimmen der Schriftsteller unter mächtigeren untergehen, solle nicht heißen, dass Schriftsteller sich nicht zu Wort melden sollten.
Ausgewählte Schriftsteller
Der britisch-indische Autor Ruskin Bond ist außerhalb Indiens noch wenig bekannt. Reinhold Schein porträtierte stellte den Autor und sein Werk „Ein Schwarm Tauben“ vor, das einen Rückblick auf die Kolonialzeit nimmt. „Ein Schwarm Tauben“ erschien auf Deutsch 2010 im Draupadi-Verlag. Der Roman ist ein sehr persönliches Werk mit autobiographischen Zügen, das weder die Kolonialherren rechtfertigt noch Aufständische glorifiziert.
Die Übersetzerin Ingrid von Heiseler stellte die gesellschaftliche Wirkung von Literatur am Beispiel der Tamil-Autorin Salma vor. In ihrem Roman „Die Stunde nach Mitternacht“ stellt Salma die Wirklichkeit in einem Teil der indischen Gesellschaft realistisch dar. In der Hoffnung auf Veränderungen beschreibt sie Missstände, wie die starke Diskriminierung von Frauen, die sie selbst erlebt hat. André Penz portraitierte den indischen Dichter Sachchidananda Vatsyayan, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Barbara Bomhoff zeigte die Gesellschaftskritik im Werk des Schriftstellers Bhisham Sahni auf, dessen Romane über die Teilung Indiens und über Slumräumung auch verfilmt wurden.
Begegnungen mit Tagore
Das Jahr 2011 steht ganz im Zeichen von Rabindranath Tagore, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 150. Mal jährt. Zwei ausgewiesene Tagore-Experten stellten den berühmten Meister vor, der 1913 den Nobelpreis erhielt. Sowohl der in Deutschland lebende bengalische Schriftsteller Alokeranjan Dasgupta als auch der in West-Bengalen lebende Deutsche Martin Kämpchen haben Tagore aus dem bengalischen Original ins Deutsche übersetzt („Rabindranath Tagore. Gedichte und Lieder“. Von Martin Kämpchen, Insel Verlag, 2011; „Mein Tagore. Eine Annäherung an den indischen Dichter Rabindranath Tagore“. Von Alokeranjan Dasgupta, Draupadi Verlag, 2011). Sie setzen sich für eine Tagore-Renaissance in Deutschland ein. Denn die Reaktion auf Tagore nach der Niederlage im 1. Weltkrieg war ganz und gar zeitbestimmt. Deutschland habe nach kulturellen Figuren gesucht, die helfen könnten, das Volk wieder aufzurichten. Tagore wurde als eine Art Messias angesehen. Das Image Tagores habe sich daraufhin „fossiliert“ und konnte sich nicht weiterentwickeln. Deshalb sei es heute schwierig, eine neue Wirkung hervorzurufen. Doch ein Weg seien neue Übersetzungen aus dem Bengalischen. Es gehe nicht nur darum, Prosa anzubieten, sondern darum, bengalische Gedichte in kongeniale deutsche Gedichte zu übersetzen.
Rückblick auf die Buchmesse 2006
2006 war Indien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse – als einziges Land sogar schon zum zweiten Mal. Mehr als die Hälfte der indischen Autorinnen und Autoren, die auf der Buchmesse vertreten waren, schreiben in Regionalsprachen. Dennoch läuft Indien auf der Webseite der Frankfurter Buchmesse als „anglophone Nation“, stellte Eva Massingue von Litprom fest. Außergewöhnliches wie indische Literatur an den deutschen Leser zu bringen sei nicht einfach, so ihre Einschätzung. Anlässlich der Buchmesse habe es damals Gelder für Übersetzungen gegeben. „Vieles wäre nicht passiert, wenn es den Gastland-Auftritt nicht gegeben hätte“, so Massingue.- Christina Kamp, Journalistin

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