Zum Auftakt der Veranstaltung betonte der Leiter der Stiftung CSP, Karsten Matthis, dass die Ära der ersten deutschen Republik lange zu Unrecht ein Randthema der politischen Erwachsenenbildung gewesen sei. Die Weimarer Republik sei nicht nur ein Sinnbild von Inflation, Armut und NS-Machtergreifung, sondern habe viele positive Impulse hervorgebracht. Das Grundgesetz konnte sich an Teilen der Weimarer Verfassung orientieren, das Arbeitsgerichtsgesetz, das Betriebs- und das Personalrätegesetz in den Ländern stammen aus der Zeit der ersten Republik.
Die Referentin, Professorin Dr. Ursula Büttner, gehört zu den anerkannten bundesdeutschen Expertinnen der Republik von Weimar. Ihre Monografie „Weimar. Die überforderte Republik 1918 – 1933, Stuttgart 2008, ist die einzige Komplettdarstellung dieser Epoche. Die Hamburger Wissenschaftlerin stellte Heinrich Brüning (1885 – 1970) als Person vor: Brüning stammt aus einem begüterten katholisch-konservativem Elternhaus in Münster. Seine Familie konnte ihm ein langes Studium mit Englandaufenthalt mit anschließender Promotion in Nationalökonomie finanzieren. Über den Gewerkschafter und späteren Arbeitsminister Adam Stegerwald (1874 – 1945) gelangte er schließlich in die Politik nach einer Zeit als Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Als Vorsitzender der Zentrumsfraktion wurde er von Reichspräsident Hindenburg als Reichskanzler berufen. Von Beginn seiner Kanzlerschaft ab dem 01.04.1930 schaltete er das Parlament aus und regierte mit Notverordnungen. Drastisch kürzte er Sozialausgaben wie die Arbeitslosenversicherung und die Kriegsopferversorge, obwohl er als Frontsoldat im 1. Weltkrieg die Not der Kriegsopfer kannte. Die Personalkosten des Reiches wurden unerbittlich gekürzt. Seine rigorose Spar- und Deflationspolitik zeigten jedoch keinerlei ökonomische Erfolge. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf 37 % der Erwerbstätigen hoch. Extreme politische Kräfte, insbesondere die NSDAP, erstarkten und setzten zu einem Siegeszug an.
Durch ein Großhungern und Gesundschrumpfen wollte Brüning und sein Kabinett die Weimarer Republik retten. Weitere glückliche Entscheidungen auf französische Kredite zu verzichten und auf eine deutsch-österreichische Zollunion zu setzen, verunsicherten das Ausland und brachte keine spürbare Verbesserung für breite verarmte Schichten der Bevölkerung.
Als Brüning sich weigerte, die ostelbischen Grundbesitzer weiterhin zu begünstigen und von Sparmaßnahmen nicht mehr auszunehmen, entzog ihm der Reichspräsident Hindenburg das Vertrauen. So trat Brüning am 30. Mai 1932 zurück und emigrierte kurze Zeit später nach Holland. So ging Brüning als „Hungerkanzler“ und Politiker einer kontraproduktiven Spar- und Deflationspolitik in die Geschichte ein.
In der sich anschließenden regen Diskussion lobten die Teilnehmer das lebendige Referat und die Ausführungen Büttners aufgrund vieler anschaulicher Details der wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe. Einige Teilnehmer werteten die heutige bisweilen rigerose Sparpolitik der Bundesregierung als ebenso schädlich für die Volkswirtschaft wie die der Reichsregierung Brünings. Wenn sich Brüning an ökomischen Erkenntnissen von John Keynes (1883 – 1946) orientiert hätte, wäre die Krise in den 30er Jahren erheblich milder ausgefallen. Das Aufkommen der NSDAP hätte gestoppt werden können, wenn eine Aussicht auf eine wirtschaftliche Besserung bestanden hätte.
Die Referenten, Professorin Büttner, stimmt dieser Ansicht zu, und sie problematisierte die EU-Sparziele für Griechenland, die dem Land zum Verhängnis werden könnten. Über die Diskussion im Plenum hinaus, bestand die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen mit der Referentin.
Literaturtipp: Weimar – die überforderte Republik, 1918 – 1933, Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2008, 864 Seiten, 45 Euro.
Karsten Matthis
Geschäftsführer der Stiftung CSP